Damals
orte
Keiner weiß heute mehr genau zu sagen, wann und von wem das alte Pohler Rathaus einmal errichtet wurde. Es dürfte aus dem 16. Jahrhundert gestammt haben – aus einer Zeit also, als hier unter hessischer Herrschaft für die Orte Pohl, Lollschied, Roth und die Wüstung Wolfrade das »Gericht zu Pohl« tagte.
Das kleine, nicht unterkellerte Fachwerkgebäude aus Eichenbalken, zuletzt verputzt und nach Westen hin mit Schiefer beschlagen, war zweigeschossig. Von der Dorfstraße aus betrat man durch eine kleine Tür das alte Rathaus-Backes, in dem die Pohler Bauern jahrhundertelang ihr Rundbrot backten. Über einen zweiten Eingang vom Nastätter Weg her gelangte man zum Bürgermeisterstübchen und über das Treppenhaus in den ersten Stock, wo sich neben einer kleinen Kammer der eigentliche Rathaussaal befand.
Auf dem schiefergedeckten Türmchen oben auf dem Dach hing die kleine »Schulglocke«, die noch aus der mittelalterlichen, längst verschwundenen Pohler Kapelle stammte. Morgens rief sie die Kinder zur Schule und um 11 Uhr die Bauern von den Feldern heim zum Mittagstisch; abends um 17 Uhr bzw. 18 Uhr war sie dann die Pohler »Abendglocke«. In einem Anbau an der Westseite lagerten die Leitern der Feuerwehr, und im Aushängekasten an der Straßenseite konnte man die Aufgebote der Heiratswilligen nachlesen oder die Termine für die Musterung der für das Militär gebrauchten Soldaten und Pferde, für die nächste Holzversteigerung oder für das Eichen von Waagen, Gewichten und Literblechen. Zuletzt befanden sich am Haus auch der Feuermelder und die Sirene der Gemeinde.
Das alte Rathaus hat Generationen von Pohlern kommen und gehen sehen. Jahre voller Krieg und Krankheit, voller Armut und Not, aber auch die fast idyllischen Jahre einer intakten, funktionierenden Dorfgemeinschaft. Hier »regierten« Schultheiße und Bürgermeister, hier tagten Gemeinderäte und Vereinsvorstände, und beide Konfessionen hielten zeitweise hier Gottesdienst. Der Männergesangverein »Cäcilia« wurde hier 1889 gegründet und über viele Jahre hinweg rief er hier seine Sänger an den Samstagabenden mit einem Hornsignal zu den Gesangstunden zusammen. Das Holz für den Bollerofen war mitzubringen, die Petroleumlampen wurden erst 1923 von elektrischem Licht abgelöst. Auch die Freiwillige Feuerwehr Pohl wurde 1966 noch in diesem Haus gegründet.
Das kleine Rathaus war über Generationen hinweg einer der wichtigen Dreh- und Angelpunkte im Leben der Dorfgemeinschaft. Kein Haus, kein Platz hatte zentralere Bedeutung. Hier traf man sich fast täglich, spätestens seit auch die Milchbank der Bauern vorm Haus stand. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war der »Nastätter Weg« auch noch Poststraße, und solange hielt hier am Rathaus auch die Postkutsche, ehe sie von Nastätten kommend über den späteren Waldfestweg weiter fuhr zur Bäderstraße und nach Singhofen und Nassau. Der Platz verlor erst an Bedeutung, als an der Pohler Kreuzung im Oberdorf Kirche, Poststelle, Geschäfte und Bushaltestellen entstanden.
Ende der sechziger Jahre war das alte Rathaus baufällig geworden und der Gemeinderat sah keine Chance für eine vermutlich kostspielige Renovierung. Und etwas überraschend für alle war es eines Tages im Jahre 1969 verschwunden.
Die öffentlichen Aufgaben des Gebäudes wurden fortan in der alten Schule wahrgenommen, die man nach deren Auflösung zu einem Gemeindehaus umgebaut hatte. Auf dem Grundstück verblieb nur noch für eine Weile die alte Glocke in einem kleinen Turmgerüst. Die alte Viehwaage, die als Relikt aus vergangenen Tagen stehen geblieben war, erinnerte noch lange an die ehemals zentrale Bedeutung des Platzes, bis auch sie verschwand. 1991 wurde das Rathausgrundstück von der Gemeinde an den nächst gelegenen Nachbarn mit der Auflage verpachtet, für eine ortsübliche Grünbepflanzung Sorge zu tragen. Die Glocke hat übrigens als letzter Wegbegleiter der Verstorbenen im Türmchen der Pohler Begräbnishalle wieder eine Aufgabe erhalten.
Gemeinde Pohl
Waldstraße 4
56357 Pohl